Wie der Westen heimlich russisches Öl kauft
Die Spur führt aufs Meer: Viele Konzerne haben angekündigt, ihre Importe aus Russland massiv einzuschränken.
Doch Schiffsverfolgungsdaten zeigen, dass EU-Staaten zuletzt wieder mehr russisches Öl eingeführt haben.
Shell, Total, Vitol – zahlreiche
Ölhändler kündigten in den
vergangenen Wochen angesichts des
Ukraine-Krieges an, ihre
Ölkäufe aus Russland massiv
einzuschränken und
mittelfristig komplett einzustellen.
Auch Deutschland hat sich
vorgenommen, bis Ende des Jahres die
Menge des russischen Öls auf
null herunterzufahren, bekräftigte
Außenministerin Annalena
Baerbock (41, Grüne) am Mittwoch.
Obwohl die Europäische Union (EU)
noch kein offizielles Öl-
Embargo erlassen hat, sanktioniert
der Markt sich quasi selbst.
Die Ölhändler sorgen sich um ihre
Reputation, die der Handel mit
Rohöl einer Regierung mit sich
bringt, die der
Kriegsverbrechen beschuldigt
wird.
Aktuelle Daten zeigen jedoch,
dass Russland zuletzt wieder
mehr Öl an den Westen
verkauft hat – und damit seinem
Paria-Status auf den
Weltenergiemärkten trotzt. Dazu
nutzen die Beteiligten eine
alte Praxis, die schon in der
Vergangenheit Exporte aus
sanktionierten Ländern wie dem
Iran und Venezuela ermöglicht hat.
Im April stiegen die Ölexporte aus russischen
Häfen in die Mitgliedstaaten der EU, die
traditionell die größten Abnehmer von
russischem Rohöl sind, auf
durchschnittlich 1,6 Millionen Barrel pro Tag,
wie das Wall Street Journal mit Verweis
auf TankerTrackers.com mitteilte. Im März
waren die Exporte nach der Invasion in
der Ukraine zunächst auf 1,3 Millionen Barrel
pro Tag zurückgegangen. Ähnliche
Daten von Kpler, einem anderen Anbieter von Rohstoffdaten, weisen für April ebenfalls einen Anstieg der russischen Ölexporte in die EU
aus.
Umladen und Mischen auf See verschleiert die Herkunft des Öls
Der simple Trick, den man aus den Schiffsverfolgungsdaten herauslesen kann: Verschifft wird das Öl aus russischen Häfen zunehmend mit
angeblich unbekanntem Ziel. Nach Angaben von TankerTrackers.com wurden im April bisher mehr als 11,1 Millionen Barrel in Tankschiffe verladen,
die bei ihrem Start keine fest geplante Route hatten – mehr als in jedes andere Land. Vor dem Ukraine-Krieg kam das so gut wie nie vor. So hat
sich ein undurchsichtiger Markt gebildet, der die Herkunft des Öls verschleiert.
Die Kennzeichnung "Bestimmungsort unbekannt" ist laut Analysten und Händlern ein Zeichen dafür, dass das Öl zunächst auf See zu größeren
Schiffen gebracht und dort erneut verladen wird. Das Rohöl aus Russland wird dann an Bord mit der Schiffsladung aus anderen Herkunftsländern
vermischt, sodass am Ende nicht klar ist, woher die Tankerfracht eigentlich stammt.
Ein Beispiel: In der vergangenen Woche übernahm ein Tanker vor der Küste von Gibraltar drei Ladungen Öl von Schiffen, die aus den russischen
Ostseehäfen Ust-Luga und Primorsk ausgelaufen waren, wie Schiffsverfolgungsdaten zeigen und die Betreiber des Schiffes und an dem Umschlag
beteiligte Personen berichteten. Schiffsaufzeichnungen zeigen, dass der Tanker seine Route in Südkorea startete und nun Rotterdam ansteuert,
einen der wichtigsten Umschlagplätze für den europäischen Ölhandel.
Abnehmer profitieren von Rabatten
Dass die Herkunft des Öls auf diese Weise verschleiert wird, kommt den Abnehmerländern aus mehreren Gründen zupass: Sie gelangen so
weiterhin an dringend benötigtes Rohöl, um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten, und verhindern weitere Anstiege der Kraftstoffpreise auf
dem heimischen Markt. Gleichzeitig profitieren sie von hohen Rabatten im Vergleich zu nicht-russischem Rohöl. Das russische Urals war am 20.
April rund 37 US-Dollar günstiger als die Nordsee-Sorte Brent. Vor der Invasion Russlands in der Ukraine lag der Preis in der Regel auf dem
Niveau der Referenzsorte oder ein bis zwei Dollar darunter.
Differenz zwischen Ural und Brent Ölpreis vom 31. Dezember 2021 bis 20. April 2022(in US-Dollar pro Barrel)
Der Preis für Uraler Rohöl lag am 20. April 2022 bei rund 37,1 US-Dollar pro Barrel unter der Benchmark Brent (basierend auf einem
gleitenden Durchschnitt der vergangenen
fünf Tage). Ende Februar und
im März 2022 stieg der Rabatt deutlich
an. Im März 2022 überstieg
der Durchschnittspreis für Uraler Öl 89
US-Dollar pro Barrel.
Hinzu kommt die Angst vor einem Imageschaden. Schließlich spülen die Transaktionen bares Geld in Moskaus Kriegskasse. Welchen Schaden dies am Ruf eines Unternehmens anrichten kann,
erlebte zuletzt Shell, als der Ölriese zu Schnäppchenpreisen russisches Öl geordert hatte und dafür einen Shitstorm kassiert hatte.
Für Russland ist der Ölverkauf eine existenzielle Säule. "Das Öl sorgt fürs Geld, und das Gas sorgt für die Macht", sagte der Energieexperte Steffen Bukold. Seit dem Krieg hat das Land
Schwierigkeiten, Abnehmer für sein Öl zu finden, was der heimischen Ölindustrie stark zusetzt.
Die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada und Australien haben die Einfuhr von russischem Öl bereits verboten. Auch die europäischen Staats- und Regierungschefs arbeiten an einem ein Öl-
Embargo. Die EU ist mit einem russischen Anteil von 27 Prozent an seinen Ölimporten stärker von Russland abhängig. Seit dem Beginn des Krieges schränkten nicht nur viele europäische
Energieunternehmen ihre Ölkäufe aus Russland ein, auch die Bankfinanzierung und hohe Versicherungskosten erschwerten den Handel.
"Wir werden bis Ende des Jahres bei null sein"
Kein Öl mehr aus Russland ab dem kommenden Jahr: Das hat Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch in der lettischen Hauptstadt Riga versprochen. Und bald danach soll auch der
Gasausstieg folgen.
Deutschland wird seine Ölimporte aus Russland bis Ende
des Jahres einstellen. Das sagte die deutsche
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach einem
Treffen mit ihren baltischen Amtskollegen am
Mittwoch.
»Deshalb sage ich hier klar und deutlich: Ja, auch
Deutschland lässt die russischen Energieimporte
komplett auslaufen«, so Baerbock.
»Wir werden bis zum Sommer das Öl halbieren und bis
Ende des Jahres bei null sein, und dann wird
Gas folgen, in einem gemeinsamen europäischen Fahrplan,
denn unser gemeinsamer Ausstieg, der
vollständige Ausstieg mit der Europäischen Union, ist
unsere gemeinsame Stärke.«
»Wir haben in diesem Bereich Fehler begangen«
Bereits im März hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne) angekündigt, dass Mitte dieses Jahres
»die russischen Ölimporte nach Deutschland
voraussichtlich halbiert sein« werden und
Deutschland zum Jahresende »nahezu unabhängig« von
russischem Öl sein wolle. Bei Gas hält dies sein
Ministerium erst »bis Mitte 2024« für möglich.