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BRICS: China spielt zunehmend nach eigenen Regeln
Am Mittwoch ( 06,Juli 2022) traten die Chefs der Inlandsgeheimdienste Großbritanniens und der USA, Ken McCallum und Christopher Wray, in einem ungewöhnlichen gemeinsamen Auftritt vor die Presse: Sie warnten, dass die chinesische Regierung die größte „langfristige Gefahr für unsere wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsinteressen darstelle“. Die von Washington und London erhobenen Vorwürfe sind nicht neu, aber die Schärfe und konzertierte Aktion des MI5 und des FBI zeigen, dass der Westen China nicht mehr als Partner sieht, sondern als strategischen Rivalen. Die Bedrohung aus Peking gelte dem gesamten Westen. Die Geheimdienstchefs warfen China vor, westliche Unternehmen auszuspionieren und Geschäftsgeheimnisse im großen Stil zu entwenden. „Die chinesische Regierung versucht, die Welt zu verändern, indem sie sich in unsere Politik einmischt“, sagte FBI- Direktor Wray. Die Dienste hätten einen Anstieg der gefährlichen Aktivitäten beobachtet und würden ihre eigenen Aktivitäten nun verstärken. Doch China hat seine Aktivitäten nicht nur im Bereich des wirtschaftlichen Wettbewerbs verstärkt. China setzt auf die Ablösung der USA als führende Weltmacht und versucht, Staaten auf seine Seite zu ziehen, die bisher eindeutig enge Partner des Westens gewesen sind. „China hat eine langfristige, konfuzianistische Sicht und bedenkt immer auch die sekundäre und tertiäre Wirkung von Entscheidungen“, sagt Folker Hellmeyer, Chefökonom der Netfonds AG, der Berliner Zeitung. China habe über Jahre seine Infrastruktur sowohl in Asien, Afrika und Mittel- als auch in Südamerika ausgebaut und hat daher heute eine andere Bedeutung in der Welt als noch vor 1990, sagt Hellmeyer. Dieser Bedeutung möchte China auch institutionell verankert wissen. „China betreibt den Aufbau seiner Strukturen konsequent, etwa mit der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank AIIB oder dem Goldhandel in Shanghai“, sagt Hellmeyer. Die wichtigsten multilateralen Gremien zur Unterstützung von Chinas Ambitionen sind bisher die losen Kooperationen der sogenannten BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – und die Shanghai Cooperation Organization (SCO). Beide Organisationen haben bisher eher eine symbolische Wirkung entfaltet und werden insbesondere vom Westen nicht ernst genommen. Daher ist Peking daran gelegen, dem Westen einige Verbündete abspenstig zu machen, um das geopolitische Gleichgewicht zu seinen Gunsten zu verschieben. Jüngster Kandidat ist Saudi-Arabien, das beim virtuellen BRICS-Gipfel vergangene Woche als Beobachter eingeladen war. Ebenfalls an Bord geholt werden soll der Iran. Sollte es China gelingen, beide Nahost-Länder in die von Peking geprägten Strukturen einzubinden, könnte sich die Lage im Nahen Osten deutlich verändern. Vor allem könnte Peking seinen Einfluss weit in einen Bereich ausdehnen, der bisher vom Westen als sein „Hinterhof“ betrachtet wurde. Die SCO wurde 2001 als politische, wirtschaftliche und militärische Koalition von sechs Mitgliedern gegründet, darunter China, Russland und die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan, bevor das Bündnis 2017 die südasiatischen Rivalen Indien und Pakistan rekrutierte. Mit der SCO hat China bewiesen, dass es in der Lage ist, Erzfeinde an einen Tisch zu bringen – auch wenn eine wirkliche Kooperation eher eine langfristige Perspektive ist. Für die amerikanische Regierung ist das Werben Chinas um Saudi-Arabien eine sehr unangenehme Angelegenheit. Mit dem Machtwechsel zu Mohammed Bin Salman (MBS) und nach der Ermordung des Mitarbeiters der Washington Post, Jamal Khashoggi, war eine Eiszeit zwischen den engen Verbündeten ausgebrochen. Sie gipfelte in der Aussage von Präsident Joe Biden, man werde Saudi-Arabien wie einen Aussätzigen (pariah) behandeln, denn das sei die Regierung des Königreichs, auch wegen vieler Menschenrechtsverletzungen. In Riad scheint man die Herausforderung ernst zu nehmen: Der Gedanke, sich den BRICS anzuschließen, ist vermutlich kein reiner Bluff in Richtung Washington: „Chinas Einladung an das Königreich Saudi-Arabien, den ‚BRICS‘ beizutreten, bestätigt, dass das Königreich eine wichtige Rolle beim Aufbau der neuen Welt spielt und zu einem wichtigen und wesentlichen Akteur im globalen Handel und in der Wirtschaft geworden ist“, sagte Mohammed al-Hamed, Präsident der Saudi Elite Group in Riad, dem amerikanischen Magazin Newsweek. Sollte sich Saudi-Arabien entschließen, dem Bündnis beizutreten, werde dies „das Weltwirtschaftssystem ausbalancieren, zumal das Königreich Saudi-Arabien der größte Ölexporteur der Welt und in den G20 ist“, sagte Hamed. Der Rohstoff-Reichtum Saudi-Arabiens ist für China und Indien von großer Bedeutung, ebenso wie das Erdöl aus dem Iran. Der Iran hat, wie auch Argentinien, bereits einen Aufnahme-Antrag für die BRICS gestellt. Nicht zuletzt die Russland-Sanktionen haben in vielen Ländern dazu geführt, dass man sich aus einer zu starken Abhängigkeit vom Westen lösen will. Dazu gehören auch neue Strukturen im Finanzsystem. Der Dollar werde nicht auf lange Sicht die Weltleitwährung bleiben können, meint Ökonom Hellmeyer: „Die Wirtschaft der USA war mal 30 Prozent der Weltwirtschaft, und liegt heute bei circa 14 Prozent.“ Noch gäbe es keine Währung, die den Dollar in seiner Bedeutung ersetzen könne: „Zu einer Weltwährung gehören auch Strukturen, die das System zusammenhalten – wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds oder liquide Kapitalmärkte. Die kann man nicht von heute auf morgen ersetzen“, sagt Hellmeyer. Genau dies könnte Peking mit dem Aufbau seiner neuen Strukturen bezwecken – auch wenn das nicht über Nacht geschehen sollte. Die Zukunft liegt jedoch, ökonomisch gesehen, im Osten – und daher könnte es für die amerikanische Regierung tatsächlich schwierig werden, alte Verbündete wie die Saudis bei der Stange zu halten. Joe Biden jedenfalls hat schon den Rückzug angetreten: Er will Saudi-Arabien besuchen und die Beziehungen wieder normalisieren. Auch die Europäische Union muss ihre Beziehungen zu China in diesem geopolitischen Umfeld neu ordnen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Mercator Institute for China Studies (MERICS). In einer für den französischen Rat für wirtschaftliche Analyse (CAE) erstellten Analyse fordern Mikko Huotari und der französische Ökonom Sébastien Jean, Professor am Conservatoire National des Arts et Métiers in Paris, eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftsstrategie gegenüber China. Chinas strategische Entscheidungen in Politik und Wirtschaft verschärften derzeit die Differenzen mit der Europäischen Union, so die Autoren: „Die Folge war wirtschaftlicher Druck nach der Eröffnung eines Taiwan-Büros in Litauen, Unterstützung für Russland trotz des Kriegs in der Ukraine, Sanktionen gegen europäische Akteure wegen Differenzen über die Menschenrechtslage in Xinjiang, um nur einige Beispiele zu nennen.“ Zudem ziele Chinas globale Strategie zunehmend darauf ab, „unabhängig von ausländischen Lieferanten zu werden und seine Wirtschaft eigenständiger zu machen“. Das Ziel sollte nicht die Beendigung der wechselseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten sein, sondern die Beziehung zu China müsse „ausgeglichener und sicherer gestaltet werden“, so die Autoren. Allzu viel Zeit haben die Europäer allerdings nicht, um neue Allianzen zu schmieden: Das auf der Website des chinesischen Außenministeriums veröffentlichte Schlussdokument des jüngsten BRICS-Gipfels zeigt China und seine Verbündeten selbstbewusst und zielgerichtet. Manches klingt bürokratisch und abgehoben. Hier spricht noch keine neue Weltmacht. Doch hier sprechen Staaten, die nicht mehr gewillt sind, die alte, vom Westen dominierte Weltordnung als gottgegeben hinzunehmen. Sie wollen nach neuen Regeln spielen.
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